Raus aus der Komfortzone

Veröffentlicht am 30.07.2023
Dieses Wissen wurde gestiftet von:
Transsolar KlimaEngineering
TU München
Kuratiert von Dr. Anna Braune

Wie erzielt man höchstmöglichen Raumkomfort mit geringstmöglichem Einfluss auf die Umwelt? Und: Wie kann thermischer Komfort in Gebäuden nachhaltig bereitgestellt werden? Wir haben einen Maßnahmenkatalog für Sie zusammengestellt.

Maßnahmen zur Verbesserung des thermischen Komforts

  • Je weniger aktive Gebäudetechnik und dafür mehr passive Maßnahmen, desto höher die Akzeptanz der Nutzer
  • Nutzer-Interaktion durch individuelle Einflussnahme auf die Raumkonditionierung (z.B. Fensterlüftung, Sonnenschutz, einfaches und verständliches Nutzer-Interface etc.)
  • Nutzer-Sensibilisierung durch intelligentes Monitoring- und Feedback-Interface
  • Nutzer-Verhalten im Betrieb berücksichtigen (z.B. Fensterlüftung oder Übersteuerung des Sonnenschutzes)
  • Eine ganzjährig konstante Solltemperatur ist nicht geeignet für individuellen thermischen Komfort im Raum
  • Je mehr Variabilität in Bezug auf Bekleidungs- und Aktivitätsgrad am Arbeitsplatz toleriert wird, desto weniger Energie wird benötigt und gleichzeitig der Komfort individuell maximiert
  • Eine geringe Raumtemperatur im Sommer (< 25 °C) führt tendenziell zu einem Anstieg der Beschwerderate (Zugerscheinungen, etc.)
  • Eine erhöhte Raumtemperatur im Winter (> 20°C) führt tendenziell zu einer geringen relativen Luftfeuchte; die trockene Luft führt zu einem Austrocknen der Schleimhäute und erhöht die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten
  • Thermischen, olfaktorischen, und hygrischen Komfort durch Materialität (Holz, Ziegel, Lehm) bzw. Pflanzen aufwerten
  • Arbeitsplätze und deren Aufteilung flexibel an individuelle Nutzerbedürfnisse anpassen

Ergänzend zum Thema empfehlen wir Ihnen den Vortrag „High Comfort – Low Impact“ von Prof. Thomas Auer. Der Geschäftsführer von Transsolar befasst sich mit nachhaltigen Klima- und Energiekonzepten für Gebäude und ihre Räume und forscht am Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität München.

Mit Klicken auf das Bild gelangen Sie zum Vortrag von Thomas Auer "High Comfort – Low Impact" auf YouTube (Foto: DGNB e.V.)

Hintergrundwissen

Der Mensch empfindet Wärme und Kälte durch Rezeptoren in der Haut. Diese Thermorezeptoren informieren das Gehirn über „zu warm“ bzw. „zu kalt“; wobei sehr viel mehr Rezeptoren auf Kälte programmiert sind. Das Temperaturempfinden ist die einzige menschliche Sensorik, die ausschließliche Information an das Gehirn meldet, wenn sich ein Diskomfort einstellt.
Durch Stoffwechselprozesse erzeugt der Körper Wärme, jedoch muss er gleichzeitig seine Kerntemperatur konstant halten. Daher steht der Körper in ständigem Wärmeaustausch mit seiner Umgebung. Dies geschieht durch:

  • Verdunstung von Flüssigkeiten über Atmung und Haut
  • Konvektion von der Hautoberfläche und über die Atmung an die Raumluft
  • Wärmeleitung des Körpers an Gegenstände
  • Wärmestrahlung an raumumschließende Oberflächen und umgebende Gegenstände

Sechs Primär-Faktoren bestimmen den thermischen Komfort

Grundsätzlich stellt sich ein thermischer Komfort ein, wenn die gesamte Wärmebilanz des Körpers im Gleichgewicht steht. Sechs Faktoren werden als primäre und dominierende Faktoren für die thermische Behaglichkeit angesehen:

  • Die Wärmeproduktion durch den Stoffwechsel (metabolische Wärmeproduktion) hängt von der Aktivität des Menschen ab. Sie wird als met (metabolic rate) abgekürzt.
  • Der Wärmeaustausch mit der Umgebung ist abhängig von physikalischen Faktoren wie
  • Lufttemperatur,
  • mittlere Strahlungstemperatur,
  • Luftfeuchte und Luftgeschwindigkeit.
  • Hinzu kommt der Bekleidungsgrad, welcher ebenfalls den Wärmeaustausch beeinflusst. Er wird als clo (clothing factor) abgekürzt.
    Darüber hinaus spielen physiologische (z.B. Alter und Geschlecht) und intermediäre Bedingungen (z.B. Tages-/Jahreszeit und Akklimatisation) eine Rolle.

Das statische Behaglichkeitsmodell

Der dänische Wissenschaftler Ole Fanger hat in den 1970er Jahren mit zahlreichen Probanden in Testreihen das Wärmeempfinden von Menschen erforscht und so ein statisches Behaglichkeitsmodell in Abhängigkeit der sechs primären Faktoren (s.o.) basierend auf empirischen Ermittlungen der individuellen Wahrnehmung entwickelt.
Daraus ist der sogenannte Predicted Mean Vote (PMV) – eine Skala von +3 (zu warm) und -3 (zu kalt) mit 0 als neutral – entstanden. Aus dem PMV lässt sich wiederum der PPD (Predicted Percentage of Dissatisfied) bestimmen. Entsprechend der menschlichen Sensorik spricht man auch hier über die Anzahl der Unzufriedenen und nicht der Zufriedenen. Je geringer der PPD-Wert, also je weniger Prozent der Personen unzufrieden oder je näher der PMV Wert an 0 liegt, desto besser ist per Definition der Komfort in einem Raum.

Das adaptive Behaglichkeitsmodell

Demgegenüber stehen adaptive Behaglichkeitsmodelle. Sie berücksichtigen neben der thermischen Wahrnehmung der Nutzer auch Maßnahmen zur Anpassung an die Umgebung sowie unterschiedliche Erwartungshaltungen bezüglich Innen- und Außenklima. Hierbei werden Temperaturgrenzwerte für die Innentemperatur in Abhängigkeit von der Außentemperatur, der Art der Raumklimatisierung und einem Mittel der Außentemperatur über die letzten sieben Tage des Gebäudes definiert. Diese Ober- und Untergrenzen für die Lufttemperatur definieren somit einen Komfortbereich. Mit steigenden Kriterien und Anforderungen verändern sich die Grenzwerte und der Komfortbereich wird enger. Ganzjährig enge Komfortgrenzen sind allerdings weder gesetzlich vorgegeben noch gesund.

Tipp

Raus aus der Komfortzone heißt: Unter anderem mehr Spielraum für den individuellen Nutzerkomfort einplanen!

Gleichwohl stellen beiden Verfahren in Kombination mit der Raumluftbewegung heute die Grundlage für viele deutsche und internationale Normen und Zertifizierungssysteme zur Evaluierung von thermischem Komfort in Gebäuden dar. Es stellt sich insofern durchaus die Frage, ob diese Verfahrensweise der richtige Ansatz ist, um thermischen Komfort in Gebäuden auch nachhaltig bereitzustellen.

Fazit

Gerade angesichts steigender Anforderungen durch mehr Flexibilität und individuelle Arbeitsbedingungen und unter der Voraussetzung von variablem Bekleidungs- und Aktivitätsgrad sowie mehr Luftbewegung bedeutet ein breiteres Komfortband mehr Spielraum für den individuellen Nutzerkomfort. Ein breiteres Komfortband spart folglich auf Seite der Gebäudetechnik erheblich Energie ein und reduziert den technischen Installationsgrad der Gebäude.

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Transsolar KlimaEngineering
KlimaEngineering für Gebäude hat zum Ziel, den höchsten Komfort für die Nutzer mit dem geringstmöglichen Einfluss auf die Umwelt zu erreichen. Transsolar strebt dies durch die Entwicklung und Validierung von innovativen Klima- und Energiekonzepten an. Die Transsolar Energietechnik GmbH wurde 1992 gegründet und arbeitet inzwischen weltweit mit 50 Ingenieuren in den Büros Stuttgart, München, New York und Paris.Unsere Beratung zielt darauf ab, höchsten Nutzerkomfort mit geringem Energieaufwand zu erreichen. Dabei berücksichtigen wir, dass sich Umgebungsbedingungen und Planung gegenseitig beeinflussen. Von Beginn des Planungsprozesses an, arbeiten wir eng mit den Kunden, Architekten, Haustechnikern und anderen Beratern zusammen, und beurteilen jeden Schritt nach den Gesetzmäßigkeiten der Thermodynamik und Physik. Daraus entsteht ein Klimakonzept, in dem die lokalen Randbedingungen, die Form, das Material und die mechanischen Systeme synergetische Komponenten eines harmonisch abgestimmten Klimakontrollsystems sind. Unsere Zielsetzung sind ökologische, ökonomische und hochwertige Gebäude zum Wohnen und Arbeiten mit hohem Nutzerkomfort oder kurz: Wir sehen KlimaEngineering als Ausdruck höchsten Respekts vor Mensch und Natur an.

Kontaktanfragen richten Sie bitte an: E-Mail: frenzel@transsolar.com
TU München
Der Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität München (TUM) beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit der ganzheitlichen Gebäudeoptimierung unter Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen, im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union (EU): Die Carbon Roadmap der EU sieht vor, dass im Vergleich zu 1990 die CO2-Emissionen des Gebäudesektors bis zum Jahr 2050 um 90 % reduziert werden. Durch anwendernahe und praxisorientierte Lehre und Forschung gewinnt und vermittelt der Lehrstuhl Erkenntnisse über die ganzheitliche Betrachtung im Gebäude-Stadt-Kontext. So werden zum einen Gebäudestruktur, Fassade und Gebäudetechnik aufeinander abgestimmt, zum anderen wird auf der Ebene der Stadt das Vorgehen um die Parameter Energieversorgung und Nutzung von Synergieeffekten erweitert. Ein besonderes Augenmerk der Lehrstuhlarbeit liegt auf der interdisziplinären und fächerübergreifenden Bachelor- und Masterausbildung von zukünftigen Architekten und Ingenieuren. Im Rahmen von Forschungsprojekten und Gutachten liegt der Fokus auf der Anwendung von Simulationsprogrammen als Planungswerkzeug zur rechnerischen Abbildung von thermischen sowie licht- und strömungsspezifischen Vorgängen. Damit werden praxisrelevante Erkenntnisse zu den Themen Nutzerkomfort, Energieverbrauch und Tageslichtversorgung erzielt. Die in den letzten Jahren abgeschlossenen sowie die aktuell laufenden Projekte umfassen sowohl Forschungsaufträge von Bundes- und Staatsministerien, als auch Kooperationen mit großen Industrieunternehmen, Mittelständlern und Planungsbüros.

Kontaktanfragen richten Sie bitte an: Mail: christian.hepf@tum.de Web: https://www.ar.tum.de/klima/startseite/